Von der Utopie, denkmalgerechte Himbeeren zu pflanzen

Viele Welten – Ein Beteiligungsverfahren!

Himbeeren pflanzen – eine Herausforderung!

Am 30.03.2019 fand am Flughafen Tempelhof ein weiterer Jugend-Aktivtag der Initiative THF.Vision statt.
Dieser Tag mit dem Schwerpunkt „Grün am Flughafengebäude Tempelhof“ erwies sich als Auftakt für einen Berg von Herausforderungen, die aktuell auf jedes noch so kleine Projekt an diesem speziellen Ort zukommen.

Die zuständige Beauftragte der Tempelhof Projekt GmbH (TP) bringt es in einer Email auf den Punkt, indem sie auflistet, wer bei ihnen alles mit so einem Vorhaben befasst sein muss. Einzubeziehen sind: „Facility Management, Grünflächenpflege, Technische Leitung, Event, WISAG, Denkmalschutz – ein ziemlicher Rattenschwanz, der auch an so kleinen Aktionen hängt, selbst wenn es nur Himbeeren sind!“

Dann gibt es noch die geplanten Hochbeete: An der Westseite des Torhauses? Da verläuft eine unterirdische Rohrleitung. Das geht nicht, weil die Beete zu schwer sind. Aber Hochbeete sind doch wesentlich leichter, als zum Beispiel die Autos, die jeden Tag zwei Meter weiter über die Rohrleitungen fahren.
Eine Einigung ist nicht ganz einfach. Es gibt unglaublich viele Regeln für jedes Detail.

Denkmalgerechte Blumenkästen?

Es gibt die Idee, während des Jugend-Aktivtages auf den schon vorhandenen Halterungen an der Außenwand des Torhauses Blumenkästen anzubringen und sie mit den Jugendlichen gemeinsam zu bepflanzen. Aber auch das muss über den Tisch der Denkmalschutzbeauftragten bei TP. Selbst Blumenkästen müssen denkmalgerecht angepasst sein: „zurückhaltend, dem Stil angepasst, nichts Poppiges.“
Ist es vielleicht an der Zeit, mit den Bürgerinnen und Bürgern öffentlich zu diskutieren, was das Schützenswerte an diesem Denkmal ist und wo man durchaus Abstriche machen könnte, damit sich der Ort überhaupt weiterentwickeln kann? Darf es wirklich keine farbigen Blumenkästen an diesem Ort geben?


Zwei Welten – ein Beteiligungsverfahren

Wie der Wunsch nach Himbeeren und Kräutern eindrucksvoll demonstriert hat, sind die Jugend-Aktivtage Teil eines großen Experiments, in dem Welten aufeinander treffen und sich aneinander gewöhnen müssen: In diesem aktuellen Fall trifft die Welt der Verwaltung, mit komplexen und langwierigen Vorgängen und Regeln, auf die Welt junger, aktionsorientierter, spontaner Menschen mit kreativen Ideen. – Es ist eine Aufgabe von Partizipationsverfahren, dass die „Welten“ sich kennen und verstehen lernen und eine gemeinsame Basis entwickeln, die allen gerecht wird.

Spontane Umplanungen

Der Aktivtag ist da. Drei kleine Himbeer- und Brombeersträucher, etliche Erdbeerpflanzen, Kräuter und Narzissen warten auf ihren Auftritt. Die engagierten Mitarbeiter der „Fliegerwerkstatt“ im Hof 1 helfen beim Bau von Blumenkästen: Mit Holzresten und einer alten LKW-Plane mit Werbung für den letzten Tag der offenen Tür des Flughafens Tempelhof. Mit der Plane werden die Kästen ausgeschlagen, damit das Holz sich nicht zu schnell zersetzt.

Die Jugendlichen lernen, wie anstrengend es ist, etwas mit den eigenen Händen herzustellen und sind am Ende müde und stolz auf Ihre Ergebnisse. Der anschließende Marsch zum Torhaus, das Anbringen und das Bepflanzen der neuen Blumenkästen am Schluss des Aktivtages euphorisiert alle. Farbig sind die Kästen erstmal noch nicht. Ob sie ansonsten den Ansprüchen des Denkmalschutzes gerecht werden, bleibt offen. Alle hoffen das Beste.


Grünflächenpflege generell – ein kommendes Thema

Es geht bei diesem Projekt grundsätzlich auch um einen wichtigen sachlichen Hintergrund, der alle sicher noch intensiv beschäftigen wird: Grünflächen von guter Qualität sind in einer wachsenden Stadt extrem wichtig, parallel zum Schaffen weiterer Wohnungen. Grünflächen garantieren sichere Freizeitflächen ohne den Stress des Straßenverkehrs. Außerdem gewinnen sie als bedeutende Faktoren im Klimaschutz und der Klimaanpassung zunehmend an Bedeutung. Und was liegt näher, als die Potenziale eines bisher eher unbeachteten Areals, wie dem vor dem Flughafengebäude, gezielt für die Zukunftsfähigkeit Berlins zu nutzen?

Wichtig für die vorbereitenden Recherchen des Projektes waren zum Beispiel der Berliner Energie- und Klimaplan, in dem die Landesregierung eine Reihe von Selbstverpflichtungen dazu auflistet – auch für die Außenanlagen des Flughafengebäudes Tempelhof. Mehr Schatten zu schaffen, gehört dazu, tiefwurzelnde Vegetation (statt Rollrasen), mehr bewachsenen Boden anstelle von Asphalt ebenfalls. Ausführlich ausgeführt ist dies auch in der AFOK-Studie.

Ebenso wichtig ist der aktualisierte Standard für ökologisch gutes Bauen, in welchem seit der letzten Aktualisierung ein eigenes Kapitel für den Umgang mit Grünanlagen enthalten ist. So wie diese beiden Programme sollte die Zukunft aussehen.

Was die jungen Menschen im Prozess um das Flughafengebäude erleben, ist seit Jahren Alltag. Sie stehen ratlos vor einem 12 DinA4-Seiten langen Dokument mit Überschriften zu relevanten DIN-Normen. Wie vertragen sich diese Normen mit dem Standard des ökologischen Grünflächenmanagements? Muss man auch die DIN-Normen anpassen, damit die Zukunft klimafreundlicher wird? Und könnte eine experimentelle Nutzung der Grünflächen beim Flughafengebäude die Dinge voranbringen?

Schließlich ist da noch ein Luftbild des Flughafenareals aus dem Jahr 1989: Darauf kann man erkennen, dass die Grünfläche am Columbiadamm viel dichter bewachsen war, mit zwei Reihen dichter Sträucher neben der Einfahrt zum Hof 2. Was ist da passiert? Wann wurden die rausgerissen, und warum? Hat das was mit den erwähnten DIN-Normen zu tun?

Vielleicht haben die Jugendlichen mit ihrem Wunsch nach Himbeersträuchern ein richtig dickes Brett angebohrt. Sie werden weiterbohren und -fragen. Auch dazu sind Partizipationsverfahren schließlich da.

Weitere Jugend-Aktivtage gibt es am 27.04.19 / 25.05.19 / 29.06.19! Wenn Ihr Lust habt auf Poetry Slam, Musik, Handwerk oder auch Interesse an Themen wie Mobilität, Nachhaltigkeit, Partizipation und Stadtentwicklung, dann meldet Euch gerne bei heike.aghte@thf.vision.

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