Aktionskonferenz: Berlin ernährt sich klima- und sozialgerecht 2030

“Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir lauter werden!” (Prof. Dr. Harald Grethe)

So sagte es Prof. Dr. Harald Grethe (Professor für internationalen Agrarhandel und Entwicklung an der HU Berlin sowie Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (WBAE) beim Eröffnungspodium am 19.11.2020.


SO WAR DIE AKTIONSKONFERENZ

Zum Auftakt haben wir am 19.11.2020 zu einer Pressekonferenz eingeladen. Nach einem Grußwort durch Sascha Müller-Kraenner (Geschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e.V.) erklärte Annette Jensen (Sprecherin des Ernährungsrats), warum der Ernährungsrat eine dringende Notwendigkeit in der Ernährungswende sieht und wie wir den Wandel mitgestalten.

Die Agrarwissenschaftlerin Dr. Annette Piorr vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) stellte klar, dass Berlin-Brandenburg das Potenzial für eine klimafreundliche, bio-regionale Lebensmittelversorgung hat, wenn Bedingungen für Bauern und Bäuerinnen geschaffen werden, die ihnen die nötige Transformation hin zu vielfältigen Fruchtfolgen und neuen Kooperationen erleichtern.

Welchen Zusammenhang es zwischen Klimakrise und Ernährungssystem gibt und an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, machte Julia Thöring (Pressesprecherin der Landwirtschaftsgruppe von Fridays for Future) deutlich.

Zum Abschluss stellte Sabine Werth (Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel e.V. und Sprecherin des Ernährungsrats) dar, was wir unter sozialer Ernährungswende verstehen.

Hier findet sich unsere Pressemitteilung.v

Zu der Dringlichkeit einer umfassenden sozial-ökologischen Transformation unseres Ernährungssystems haben sich zuletzt renommierte Wissenschaftsgremien wie der deutsche Nachhaltigkeitsrat (2020), der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik und Ernährung (WBAE 2020) oder die Europäischen Wissenschaftsakademien (SAPEA 2020) geäußert. Bezüglich der Frage, wie genau eine solche Transformation gelingen kann und welche Herausforderungen, Chancen und Barrieren auf einer kleinräumigeren Ebene bestehen, dazu gibt es jedoch noch deutlich zu wenig wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit.

Besonders relevant ist für uns die soziale Dimension der Ernährung: Wie kann der Zugang zu gutem Essen gewährleistet werden, welche sozialen Ungleichheiten bestehen und wie kann und sollte darauf politisch geantwortet werden? „Für bestimmte gesellschaftlichen Gruppen wäre es ein Gewinn, wenn sie überhaupt mal in die Lage versetzt würden, selbstbestimmte Einkaufsentscheidungen zu treffen. 7-9% der Haushalte in Deutschland leben in Ernährungsarmut.“ So Dr. Hanna Augustin, eine Panelistin, die in ihrer Doktorarbeit Barrieren und Chancen für den Zugang zu Lebensmitteln in deutschen Städten untersucht hat.

“Wir brauchen eine Ernährungsumgebung, die gute Ernährungsentscheidungen erleichtert”, meint Prof. Dr. Harald Grethe, Agrarökonom, Humboldt Universität zu Berlin und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik und Ernährung. Die Keynote hielt Prof. Dr. Marit Rosol von der University of Calgary. Für die Brandenburger Perspektive bereichterte Prof. Dr. Anna Maria Häring, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, das virtuelles Panel. Die Moderation übernahm Dr. Christine Chemnitz (Referentin Internationale Agrarpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung).

Am Freitag, den 20.11.2020, kamen insgesamt rund 200 Teilnehmende zusammen, um moderiert von Susanne Rodemann-Kalkan (futurlabor) in 8 Ideenküchen Rezepte für die Zukunft zu entwickeln. Entstanden sind dabei neue Projektideen, Bündnisse und Forderungen an die Politik.

Berichte der einzelnen Ideenküchen:

Wir haben uns Zeit genommen, um Forderungen an die Politik auszuformulieren: Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, damit die Rezepte für die klimagerechte Ernährungswende fruchtbaren Boden zum gedeihen haben? Was muss die Politik beitragen?

Pia Paust-Lassen (Berlin 21) hat uns mit einem Vortrag “Zusammen sind wir lauter” auf die Diskussion eingestimmt. Hier geht’s zur Präsentation.

Hier geht’s zu unserem Padlet mit Forderungen an die Politik – das ist die Grundlage, auf der wir in den nächsten Monaten aufbauen, um im Vorfeld der Wahlen 2021 mit der Politik ins Gespräch zu kommen! Wir haben die wichtigsten Forderungen gebündelt und zusammengefasst, um sie am Samstag den Politiker*innen servieren zu können:

    • Berlin ist keine Insel: Brandenburg und Berlin sind eine Region – Ernährungsstrategien müssen jenseits von Staatsgrenzen gedacht werden, zum Beispiel in einer „Ernährungsstrategie für die Metropolregion Berlin – Brandenburg“.
    • Integriertes Denken und Handeln: Was das ist, kann man am Beispiel des Projektes zur gebäude-integrierten Landwirtschaft verdeutlichen. Wenn man über einzelne Fachgebietsgrenzen hinaus denkt, kann man Gebäude oder ganze Quartiere so ausstatten, dass sie nicht Abfall, Abwärme und Abwasser produzieren, sondern Ressourcen und Nährstoffe.
    • Ressortübergreifende Ernährungspolitik: Integriertes Denken und Handeln ist Voraussetzung für eine ressortübergreifend Ernährungspolitik. Zum Beispiel eine städtische Gesamtnachhaltigkeitsstrategie für Berlin, hinterlegt mit klaren Zielen und Ressourcen, unter der Federführung der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters, d.h. in der Staatskanzlei.
    • Gemeinsam mit Bürger*innen: Das bedeutet Teilhabe am politischen Diskurs durch transparente Partizipationsverfahren. Das Ernährungssystem soll für alle da sein: viele unterschiedliche Menschen mit diversen Perspektiven, Geschichten, Erfahrungen und Identitäten. Wir alle müssen raus aus unserer Blase! Auch die Politik ist gefragt, wenn es darum geht, Teilhabe am politischen Diskurs für alle zu gewährleisten und passende Ernährungsumgebungen so zu gestalten, dass Zugang zu gutem Essen für alle sichergestellt ist.
    • Wirksame Transformationsförderung: muss über die Projektförderung hinausgehen. Das heißt: Vernetzung und Koordinationstätigkeiten zivilgesellschaftlicher Strukturen und Initiativen brauchen eine Förderung unabhängig von befristeten Einzelprojekten. In Frankfurt am Main und München erhalten Ernährungsräte zum Beispiel Mittel dafür, dass sie die Ernährungsakteure der Stadt zusammenbringen und gemeinsame Positionsentwicklung ermöglichen.

Am Samstag, den 21.11.2020, wurden die kondensierten Positionen und Forderungen aus den Vortagen diversen Berliner und Brandenburger Politiker*innen aller großen Parteien aufgetischt. Unsere Sprecherin Henrike Rieken stellt fünf Gänge des Zukunftsmenüs für Berlin und Brandenburg vor.

Das war viel Futter für die Politiker*innen auf dem Panel. Was sagen sie dazu?

Auf dem Panel sitzen Margit Gottstein (Staatssekretärin für Verbraucherschutz, SenJustVA), Silvia Bender (Agrar- und Umwelt-staatssekretärin, MLUK Brandenburg), Marion Platta (MdA, Sprecherin für Umwelt und Nachhaltigkeit, DIE LINKE), Ülker Radziwill (MdA, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende, SPD), Danny Freymark (MdA, Umweltpolitischer Sprecher, CDU), Julia Thöring (Fridays for Future) und Frank Nadler (Sprecher des Ernährungsrats).

U.a. skizzierte Margit Gottstein dabei die Ernährungsstrategie des Berliner Senats. In der Diskussion wurde von verschiedenen Seiten angemerkt, dass es dringend eine gemeinsame Strategie von Berlin und Brandenburg braucht sowie ein ressortübergreifendes Handeln. Auch dass konkrete Ziele, Indikatoren und Zeitpläne fehlen wurde angemahnt. Gekonnt führte die Moderatorin, Stephanie Wunder (Ecologic Institut), durch die Debatte, fragte gezielt und kritisch nach und konnte bezüglich der Frage nach dem Ziel der Reise den Parteivertreter*innen die eine oder andere Aussage entlocken:

Margit Gottstein sieht die Notwendigkeit, die Ernährungsstrategie zu überarbeiten und mit Mitteln auszustatten. Zudem wird sie auf der Bundesebene auf eine Ernährungsstrategie drängen. LebensMittelPunkte gehören ins Wahlprogramm! Es braucht Druck von Ernährungsräten, Fridays for Future und anderen NGOs, um die Forderungen in die Parteiprogramme zu bringen: dieser Druck aus der Zivilgesellschaft ist enorm wichtig!

Silvia Bender setzt sich für eine 50%ige Pestizidreduktion bis 2030 ein sowie für 20% Ökolandbau bis 2024. Durch öffentliche Beschaffung soll Verlässlichkeit für regionale Versorgung entstehen. Ein Ökoaktionsplan mit Beteiligung der Praxis soll entwickelt werden und der Zugang zu Investitionsförderung für regionale Wertschöpfungsketten soll möglichst entbürokratisiert werden. Wir müssen es schaffen, die GAP zu verändern und die EU-Subventionen nutzen, um die Landwirtschaft umzubauen!

Ülker Radziwill fordert einen „Social Green Deal“ für Berlin, der z.B. Dachbegrünung, Gemeinschaftsgärten und nachhaltige, ressortübergreifende Stadtplanung beinhaltet. Wir brauchen Querschnittsdenken & integrierte Stadtentwicklungsplanung statt separate Pläne für Wohnen, Stadtgrün, Klima etc. Wir müssen die Stadt als urbane Klimaanlage verstehen!

Marion Platta spricht sich für einen sozial-ökologischen Umbau mit dem klaren Fokus der Einhaltung von Klimazielen aus. Es braucht eine Nachhaltigkeitsstrategie für Berlin und eine Neuauflage des Flächennutzungsplans, bei dem grüne Flächen als Kohlenstoffsenke in der Stadt geschaffen und gesichert werden. Und: Bürgerbeteiligung kann nicht nur über Projekteförderung passieren!

Danny Freymark will das Thema Ernährung viel stärker als zuvor im Wahlprogramm verankern. Er fordert eine Enquete-Kommission zu Klima & Ernährung mit regelmäßigen Anhörungen zum Fortschritt des Regierungshandelns. Zur Frage, wie wir allen Bevölkerungsgruppen gutes Essen zugänglich machen können, muss auch die Bundespolitik ran!

Julia Thöring und Frank Nadler machten deutlich: Wir brauchen einen mutigen, gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Wir müssen mehr wagen und schnell handeln!

Viele spannende Initiativen haben sich bereits auf den Weg gemacht in eine klima- und sozialgerechte Zukunft! Im Inspirationskessel gab Raum, um sich vorzustellen.

Mit dabei: a tip:tapSupercoopGutes Leben Berlin – innerhalb des DonutBio-BalkonRegionalwert AG2000m² Weltacker BerlinAckercrowddie Agrarökologie-Ausstellung von InkotaCSX (community-supported whatever) Netzwerk und das Klimafrühstück von Kate.

Über ein Padlet fand Austausch und Vernetzung statt.

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